Vom Wie? zum Wer?

Ständig werden wir in unseren Organisationen mit Schwierigkeiten konfrontiert. Dort, wo ich mich umtreibe (Coworking Space, Communities und Netzwerke, Berufsschule, Colearning, Softwareunternehmen), tönt es etwa so:

  • Wie bauen wir Communities, in denen Menschen aufblühen und sich gegenseitig unterstützen?
  • Wie lösen wir die Spannung zwischen Ehrenamt und bezahlter Arbeit?
  • Wie überleben wir die verschiedenen Lockdowns?
  • Wie werden wir reich ;-)?
  • Wie gehen wir mit Fehlern, Niederlagen und Konflikten um?
  • Wie schaffen wir Räume, in dem Lernen mit Neugier gelingt?
  • Wie werden wir innovativer, nachhaltiger, sozialer, wirtschaftlicher, digital transformierter?

Dabei fällt auf, dass wir meistens nach dem WIE fragen. Dies wird mir bewusst, seit ich mich intensiver mit dem Organisationstheoretiker Gerhard Wohland beschäftige.

Erfolgreiches Gewurschtel

Gerhard Wohland beschreibt, wie er immer wieder Leuten aus erfolgreichen Unternehmen begegnet, die sich moderne Konzepte der Unternehmensorganisation beibringen wollen: «agil», «Holacracy», «kollegiale Führung», «flache Hierarchien», «Digitalisierung», usw. Wenn er danach fragt, warum sie das tun, wenn sie doch schon erfolgreich sind, erhält er die Antwort: «Bisher haben wir nur vor uns hin gewurschtelt, unser Erfolg war reine Glückssache. In Zukunft wollen wir eine professionelle Basis schaffen.» Wohland antwortet darauf:

Unternehmen wie eures nenne ich Höchstleister. Ihr leidet nicht unter der allgemeinen Dynamik, sondern das ist genau die Umgebung, die ihr braucht, um Leistung zu entfalten. Diese dynamikrobuste Leistung beruht nicht auf bestimmten Konzepten, wie früher, sondern auf euren Talenten. Sie werden von überraschenden Problemen so provoziert, dass euch meist eine innovative Lösung einfällt. Da das immer anders passiert als beim letzten Mal, sieht es aus wie Gewurschtel.

Schön finde ich die Formulierung, dass Personen durch überraschende Probleme provoziert werden. Es macht ihnen Freude, sich den Problemen anzunehmen, weil sie merken, dass es Dinge sind, die sie mit ihren Talenten lösen können. Als Unternehmung könnten wir uns also darauf konzentrieren, Probleme sichtbar zu machen und zu beobachten, welche Personen sich dadurch zum Handeln provozieren lassen.

Unsichtbare Talente

Ein Talent ist jemand, der etwas kann, was den meisten schwerfällt. Wenn also ein Talent sein Talent benutzen darf, tut es etwas, was ihm leichtfällt. Weil die Leistung nicht mit zermürbender Anstrengung verbunden ist, wird sie nicht bemerkt und bleibt, besonders für das Talent selbst, unsichtbar.

Euer Unternehmen arbeitet talentorientert. Deshalb seid ihr der Meinung, dass euer Erfolg unverdient ist. Ihr habt ein schlechtes Gewissen, weil ihr keinen «ordentlichen» Grund für euren Erfolg angeben könnt. Also macht ihr, was alle machen: New Work. Dann habt ihr für euch und andere einen akzeptablen Grund.

Wie viele Unternehmen teilt ihr inzwischen aber den Verdacht, dass es sich bei den New-Work-Aktivitäten um mehr oder weniger unterhaltsame Übungen auf der sogenannten Vorderbühne handelt. Sie nützen meist nichts, sind aber mit erheblicher Anstrengung verbunden.

Die Basis für den Erfolg aufspüren

Noch wenige Unternehmen haben inzwischen die zeitgemässe New-Work-Alternative entdeckt: Sie versuchen herauszufinden, worauf ihr bisheriger Erfolg beruht. Nur wenn sie das wissen, kann es gelingen, ihn zu schützen und fortzusetzen. Dabei lernen sie ihre Talente kennen, die Basis für ihren Erfolg. Da jedes Unternehmen andere Talente hat, sind die Lösungen immer konkret, also für jedes Unternehmen, für jede Abteilung immer wieder anders. Deshalb kann aus einem konkreten Erfolg keine allgemein passende New-Work-Methode abgeleitet werden.

WER könnte es schaffen?

Die alternativen Angebote zur Unternehmensentwicklung sind meist solch konservative Ansätze. Stur wird die Frage gestellt: «Wie macht man es richtig?» Noch vor 50 Jahren war diese Frage meist vernünftig. Bei der heutigen hohen Dynamik ist sie falsch geworden. Die richtige Frage lautet: “Wer von uns könnte es schaffen, wenn wir ihm genau das zur Verfügung stellen, was er braucht, um seine Idee zu nutzen?”

Die Unterscheidung «Wer/Wie» trennt heute konservative von moderner Unternehmensentwicklung.

Mein Fazit

Ich habe gemerkt, dass bei mir die Wer-Frage viel mehr Freude auslöst. Während die Wie-Frage um das Problem und den Mangel kreist, suchen wir mit der Wer-Frage nach Personen, die Talente haben, um eine knifflige Aufgabe zu lösen. Das ist Ressourcenorientierung, die den Menschen etwas zutraut.

Natürlich gibt es Bereiche, für die es klare Methoden gibt, WIE man etwas lösen kann. Wenn aber das Umfeld dynamisch ist und Probleme damit oft zum ersten Mal in dieser Art auftauchen, so will ich mir merken, dass wir danach suchen sollten, WER am besten zu diesem Problem passt.

Wir ersetzen die wissensorientierte Frage «Wie macht man es richtig?» mit der talentorientierten Frage «Wer von uns kann das?»


Wer die Thematik vertiefen möchte, dem empfehle ich die Ressourcen auf Dynamikrobust.com oder das Buch “Denkwerkzeuge der Höchstleister” von Gerhard Wohland und Matthias Wiemeyer.

Einen guten Überblick gibt auch dieser Vortrag über “Komplexität bewältigen”:


Quellen

  • Die Zitate von Gerhard Wohland stammen aus dem Buch “Agile Short Stories” von Miriam Sasse und Joachim Pfeffer
  • Das Bild “red and white star” ist von Martin Sanchez.