Entscheidungsprozess

Dieser Blogeintrag ist ein Vorschlag, wie man mit alternativen Entscheidungsformen zu besseren Entscheidungen kommen kann. Hier beschreibe ich vor allem den Beratungsprozess und den soziokratischen Konsent. Zuunterst gibt es noch einen Ausblick auf weitere Formen.

Das Ziel ist, dass Entscheide mit wertvollem Feedback von anderen und doch möglichst effizient getroffen werden können. Weiter soll es eine innovative Kultur ermöglichen, bei welchem Initiativen nur dann blockiert werden, wenn es die Gruppe in eine gefährliche Richtung führen würde.

Beratungsprozess

Beim Beratungsprozess muss die Person, welche eine Entscheidung fällen will, betroffene Kollegen sowie Experten um Rat fragen. So lernt er/sie Einwände, Fragen und Ideen von Kollegen kennen. Nachdem die Person sich offen die Ratschläge angehört hat, fällt diese selbständig eine Entscheidung. Schliesslich wird transparent kommuniziert, was entschieden wurde und welche Personen um Rat gefragt wurden.

Diese Form wird manchmal auch “konsultativer Einzelentscheid” genannt. Man konsultiert andere Personen, übernimmt aber dann selber die Verantwortung für den Entscheid.

Meine Erfahrungen damit, zum Beispiel im Effinger Coworking Space und in diversen Firmen, die ich gesehen habe, sind sehr positiv:

  • Es entscheidet die Person, welche sehr nah an der Aufgabe dran ist und nicht ein Gremium, welches aufgrund der Hierarchie zuständig ist.
  • Die Leute, welche um Rat gefragt werden, fühlen sich geehrt.
  • Es ist immer klar, wer die Verantwortung trägt. Das ermöglicht eine positive Fehlerkultur (siehe Fehlerkultur unten).
  • Dadurch, dass Leute um Rat gefragt werden und der Entscheid transparent gemacht wird, wird das Risiko für Missbrauch sehr klein.

Soziokratischer Konsent

Entscheide, bei welchen eine ganze Gruppe involviert werden muss, können nicht mehr so einfach im Beratungsprozess gefällt werden. Man bringt die Entscheidung in ein Meeting, sollte sich aber für das Meeting bewusst eine Entscheidungsform wählen: Konsens kann sehr langwierig sein und demokratische Mehrheitsentscheide haben auch etliche ungewünschte Effekte. Deshalb ist der soziokratische Konsent meist die bessere Form.

Beim soziokratischen Konsent stellt man nicht die Frage, wer mit einem Vorschlag “einverstanden” ist, sondern ob niemand “dagegen” ist. Alle Gruppenmitglieder werden der Reihe nach gefragt, ob sie einen schwerwiegenden Einwand haben. Falls niemand einen schwerwiegenden Einwand vorbringt, wird der Vorschlag angenommen.

Das Grundprinzip ist, dass alle Mitglieder einer Gruppe das gleiche Recht haben, Entscheidungen zu fällen für die Gruppe. Somit kann jede Person Vorschläge zum Entscheid einbringen und kann durch einen Einwand andere Vorschläge stoppen.

Ablauf eines Entscheides nach soziokratischem Konsent

Für jeden Vorschlag werden folgende Schritte durchlaufen:

1. Vorschlag präsentieren

Die vorschlagende Person beschreibt ihren Vorschlag und das Problem, das durch den Vorschlag gelöst werden soll.

2. Klärungsfragen

Alle können Verständnisfragen stellen, um Informationen zu erhalten oder den Vorschlag besser zu verstehen. Jede Person kommt genau ein mal im Kreis herum zum Wort (wenn sie möchte). Es gibt keine Diskussion und zu diesem Zeitpunkt sollte es auch noch keine Reaktionen auf den Vorschlag geben. Der/Die Moderator/in unterbricht jede Frage, die eine verborgene Reaktion auf den Vorschlag enthält.

3. Reaktionsrunde

Wieder im Kreis herum erhalten alle Beteiligten den Raum, auf den Vorschlag zu reagieren. Es sollen auch zu diesem Zeitpunkt keine Diskussion entstehen.

4. Verbessern/Ergänzen

Die Vorschlagende Person kann die Absicht seines Vorschlags weiter erklären oder den Vorschlag basierend auf den Reaktionen verändern.

5. Einwandrunde

Der/Die Moderator/in fragt: “Seht ihr irgendeinen Grund, warum die Annahme dieses Vorschlags Schaden anrichten oder uns zurückwerfen könnte?” Einwände werden ohne Diskussion benannt und begründet. Wenn keine Einwände im Raum sind, wird der Vorschlag angenommen.

Jede Person hat die Möglichkeit, einen Vorschlag zu stoppen mit einem schwerwiegenden Einwand
Jede Person hat die Möglichkeit, einen Vorschlag zu stoppen mit einem schwerwiegenden Einwand

Bei Einwand: Vertagung oder Integration des Einwandes

Wenn ein Einwand formuliert wurde, hat der Moderator zwei Möglichkeiten: Je nach Traktandum oder Zeitverhältnisse, wird der Vorschlag vertagt auf das nächste Treffen oder an dieser Stelle diskutiert, um einen veränderten Vorschlag zu finden.

Auswirkungen

Die Entscheidungsform nach soziokratischem Konsent hat ein paar entscheidende Vorteile:

  • Vorschläge kommen schneller durch, weil man nicht eine Lösung finden muss, die allen passt, sondern eine Lösung, “mit der alle leben können”.
  • Es entsteht eine Kultur der Innovation. Es wird nicht gewartet auf die perfekte Lösung, die dann nie kommt. Man spricht auch von einem “good enough for now and safe enough to try”.
  • Jede Person wird angehört und ernst genommen. Mit einem “schwerwiegenden Einwand” erhalten alle eine Art Veto-Recht und können den Vorschlag stoppen, wenn sie denken, dass es die Gruppe in Schwierigkeiten bringen könnte.
  • Der Vorschlag muss nicht “verwässert” werden, weil man eine Mehrheit dafür gewinnen muss. Das macht mehr Freude, sich zu engagieren.
  • Es ist klar, wer die Verantwortung trägt (die vorschlagende Person). Trotzdem kann niemand dieser Person später in den Rücken fallen, wenn es nicht gut rauskommt. Denn jede Person hätte ja mit einem “schwerwiegenden Einwand” das Vorhaben stoppen können und muss sich somit hinter den Vorschlag stellen, wenn sie das nicht getan hat.

Fehlerkultur

Es gibt kaum eine Organisation, bei der der Begriff “Fehlerkultur” nicht im Leitbild steht. Trotzdem scheint kaum jemand zu wissen, wie dies zu erreichen sei.

Meine Erfahrung ist, dass Entscheidungen nach soziokratischem Konsent eine positive Fehlerkultur ermöglichen. Bei solchen Entscheiden ist klar, wer die Verantwortung trägt und es ist auch klar, dass sich alle anderen hinter den Entscheid stellen müssen, wenn später etwas schief geht.

Ohne diese beiden Punkten kann ich mir nur schwer vorstellen, dass man eine positive Fehlerkultur leben kann. Das ist weder bei einem Entscheid eines Vorgesetzten, noch bei einem demokratischen Mehrheitsentscheid und auch nicht bei Konsens gegeben. Ausführungen darüber wäre ein Blogeintrag für sich…


Weitere Informationen zu Soziokratie auf Wikipedia, Sociocracy For All oder Sociocracy 3.0.


Fazit und weitere Entscheidungsformen

Entscheide sind wichtig. Meiner Meinung nach achten wir viel zu selten darauf wie wir entscheiden wollen. Anstatt die passende Entscheidungsform für die aktuelle Situation zu wählen, fallen wir auf unreflektierte Normen zurück oder entscheiden isoliert und alleine.

Die Firma Nobl hat eine Decider App auf eine Website gestellt, die durch ein paar einfache Fragen zu einer passenden Entscheidungsform führt. Dort gibt es jeweils gute Kurzbeschreibungen und Vor- und Nachteile zu jeder Entscheidungsform.


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